A R B E I T S P R O B E N
Schläft ein Lied in allen Dingen
Regie: Andreas Struck. Musik: Nils Petter Molvaer
1. KÖLN, AM RHEIN - A/T
REGENSCHAUER, ein diesiger Herbsttag. Maechtig und grau fliesst Rhein-Hochwasser dahin, formiert sich unter Bruecken zu Strudeln, leckt in Wellen gegen die
Uferbefestigung.
2. KÖLN HOHENZOLLERNBRÜCKE - A/T
Hell erleuchtete Züge fahren über die Brücke auf die Innenstadt zu. Die Spitzen des Koelner Doms sind in dem Nebel kaum mehr zu sehen, PASSANTEN eilen - teils unter Regenschirmen - aneinander vorbei
ueber die Brücke. In den Pfützen auf dem Fuß- & Radweg neben den Gleisen spiegeln sich Lichter vorbeifahrender Züge.
Eine ÄLTERE FRAU (HANNA) ist die Einzige, die sich in all der Hast langsam bewegt: entgegen kommende Fussgänger und Radfahrer müssen ihr ausweichen. Ihren Koerper und ihre Habseligkeiten hat sie in
Einkaufs- und Mülltueten gewickelt, sogar ihr Kopftuch ist ein Müllbeutel. Sie führt Selbstgespräche.
... kurz vorm Meer holten sie mich ein.
Hundert Jahre liessen sie mich steh'n
und wiederholten mir die Zeit.
Ich schluckte, zog an meinen Wurzeln,
wuchs und schrie und spuckte –
Die Poesie wandelt sich abrupt in Wut: sie kickt eine ihrer Tüten, die ihr runter gefallen ist, aus dem Weg und schreit:
Weg! Hau ab! Taugst nichts!
Die Mülltüte fliegt einer entgegen kommenden FAHRRADFAHRERIN in den Weg, die abrupt anhalten muss.
Haste noch alle, du dumme Funz?!
(mit Blick auf Hannas Müll-Outfit)
Dich in die Mülltonne, wo Du hingehörst!
Hanna sieht die Radfahrerin böse an, will zurück schreien. Aber mit einem Mal holen sie die Fetzen von Martins Trompetenmelodie von irgendwoher ein, frieren allen Lärm
und Geschehen ein. Hanna lauscht - plötzlich wider alle Vernunft hoffnungsvoll.
Die Melodie hebt sich über sie hinweg, legt sich über die Stadt. Der Ton wird gehalten – ein langes Ausatmen - geht dann über in das HUPEN eines vorbeifahrenden Zuges, das alles Geschehen wieder in Bewegung setzt:
aggressiv steigt die Radfahrerin wieder auf, fährt dicht an Hanna vorbei durch eine Pfütze und spritzt die Obdachlose nass.
Unter den Tüten senkt Hanna wieder den Kopf, geht zeternd weiter, die zugigen Beton-Wendel-Treppen zum Rhein hinab und verschwindet.
Das Echo der Trompete zieht weiter....
3. KÖLN, SEVERINSTOR - A/T
Die Kamera folgt dem Sog des sehnsüchtig dunklen Liebesthemas: rau durch die Trompete geflüstert, beinah ins Tonlose fallengelassen -
weg vom Rhein über eine Strasse, zu einem ALTEN RÖMISCHEN TOR, wo von Wind und Regen etwas geschützt Martin das Thema beendet und seine Trompete absetzt.
Seine dunklen Haare über den hellen Augen sind nass, sein Gesichtsausdruck und seine Körperhaltung wirken zerschlagen.
Er schüttelt die nass geatmete Trompete aus, sein Blick geht über die tropfende graue Umgebung und die apathischen PASSANTEN hinweg, über den Platz, die Haeuser, die Dächer –
Er schliesst die Augen, horcht nach innen, die Trompete findet seine Lippen wieder, um ein neues Stueck zu beginnen. Martins Atem bricht sich in ihr, treibt ihn an. Sein Brustkorb hebt sich, sein
ganzer Körper biegt sich, der Wind weht ihm Regen ins Gesicht.
PASSANTEN gehen ohne stehen zu bleiben an Martin vorbei – bis auf einen.
Aber Martin spürt den Blick des offensichtlich erschütterten RIO (25, hübsch, blond, high) nicht. Er spielt die hochenergetische Tonfolge von „Christine“ durch die Trompete, die in einem lang gehaltenen Ton kulminiert – und abbricht.
Martin öffnet die Augen, starrt atemlos durch Rio hindurch, der ihm als Einziger begeistert applaudiert.
Wow! Bravo! Wow!
Martin kommt langsam wieder zu sich, sieht das leere offene Trompeten-Case vor ihm, in dem ausser einem Teaser - Euro nichts ist. Er beginnt lustlos eine bekannte
Melodie (z.B. Summertime oder Way to San Jose). Aber niemand bleibt stehen - obwohl Rio ungebeten beginnt Martin zu „helfen“: die Leute zu animieren, die Hand aufzuhalten.
Nass von Schweiss und Regen setzt Martin die Trompete schliesslich ab, sieht auf die Uhr, wirft sie mit fast gewalttätigen Handgriffen in das Case und geht.
Hey!
4. KÖLN, STRASSE - A/T
Rio eilt Martin hinterher.
Hey - Du hast was vergessen!
Martin dreht sich irritiert um. Rio hält verschmitzt mit beiden Armen etwas Unsichtbares vor ihm hoch, grinst.
Meine Bewunderung –
(grinst) is` leider unsichtbar!!
Trotz seines charmanten Strahlens sieht man Rio die Heroinabhängigkeit an. Martin geht mit seinem Trompeten-Case schnell davon.
"CLOSE"
90', R: Marcus Lenz, Sabotage Films/Basisfilm, 2005, 1. Preis Achtung Berlin!
Die Liebesgeschichte um einen jungen Streuner und einer Frau, die unter Agoraphobie leidet, wurde von Marcus Lenz und mir entwickelt und von ihm als Kleines Fernsehspiel und dffb-Abschlussfilm im
Jahr 2004 mit Jule Böwe und Christoph Bach in den Hauptrollen verfilmt.
http://www.basisfilm.de/close/close.html
SZENENAUSZUG
(....)
6. EINKAUFSPASSAGE - I/N
In den beleuchteten Passagen eines Einkaufszentrums durchsucht Jost die ergatterte Designerhandtasche, wirft Visitenkartenetui, Schminktaeschen und Tampons weg. Ein Passant bleibt stehen, sieht ihm
hinterher. Jost ist das egal, er nimmt eine Rolltreppe nach oben. In Maikes Portemonnaie findet er kaum Bargeld, nur Kredit- und andere Karten. Dann jault etwas, es ist ein Handy.
JOST
Hallo hallo hallo Hallo hallo -
MAIKE (O.S.)
Mit wem sprech ich?
JOST (amüsiert)
Mit wem magst du denn sprechen?
MAIKE (O.S.)
Wo bist Du jetzt?
JOST
Rat doch mal. - Hallo, hallo, hallo?
MAIKE (O.S.)
Hoer mal zu, du Arsch - ich-
Er nimmt die Rolltreppen auf der anderen Seite wieder runter.
Hey, nicht in diesem Ton
(sieht auf den Ausweis, den er gerade findet)
Also rate: wo bin ich?
MAIKE (O.S.)
Ich mein es ernst. Ich möchte meine Sachen wieder.
JOST
Ach Maike, wer will das nicht?
MAIKE (O.S.)
Ich hetz dir die Bullen aufn Kopf.
JOST (lächelt)
HALS, Maike: das heisst: ich hetz dir die Bullen aufn Hals.
Pass auf, der erste Schritt ist:
du musst dein Handy sperren lassen.
Gegen die Fahrtrichtung nimmt er die Rolltreppen wieder hinauf.
Das ist prepaid, mein Lieber!
Enttäuscht legt Jost den Ausweis auf den schwarzen Handlauf der Rolltreppe, er wird nach oben transportiert und fällt dann runter.
Hallo hallo – sorry, kein Netz –
Er drückt das Gespräch weg. Sofort klingelt das Handy wieder.
Hallo - Maike ist nicht da.
MAIKE (O.S.)
Hoer auf, du Scheisser! Ich brauch die Tasche,
Jost zieht Maikes rosa T-Shirt aus ihrer Tasche.
Ich hab schon alles, was ich brauche.
MAIKE (O.S.)
Die Karten sind bereits gesperrt.
JOST (gaehnt)
Ich bin müde Maike.
Beruhigung und rufst morgen nochmal an, ok?
Er steckt das Handy in die Hosentasche, stellt die Tasche auf den Handlauf und laesst sie t eine Weile darauf, bis sie an der Steigung umkippt und die Rolltreppe
herunterpurzelt. Rückwaertsgewandt fährt Jost wieder runter, sieht sein Spiegelbild im Schaufenster verschwinden.
(......)
18. ANNAS KÜCHE - I/T
Jost sitzt am Küchentisch, trinkt aus einer Tasse mit dem Aufdruck "Anna". Annas Tür ist auf. Sie legt das Telefon im
Flur ab, kommt in die Kueche.
Bestell Mutti gute Besserung.
Anna wirft die leere Wurstpackung und die Bierdosen weg, schnürt den Müllsack zu. Jost sieht ihr zu, greift nach Serrano-Schinken in einer Packung. Er spielt mit den
hauchdünnen Schinken-Scheiben, bohrt Löcher rein.
Wie heisst du?
Er isst eine Serrano-Scheibe.
Rat mal.
ANNA
Bitte?
JOST
Sollst mal raten.
Er nimmt eine weitere Scheibe, zerreisst und flicht sie zu einem kleinen Zopf, trinkt gleichzeitig Tee und zündet sich eine Zigarette an.
Steffen.
JOST
Was?
ANNA
Steffen. Thomas. Markus.
JOST
Hm?
ANNA
Markus.
Jost isst das Schinkenzöpfchen.
Weiter.
ANNA
Richard. Falk.
JOST
Mit Z.
ANNA
Mit Z? - Zorro!
JOST
Stimmt, so heiss ich.
ANNA
(arrogant)
Ja. Zorro.
Der Schinken ist zu Ende. Anna stellt ihm einen Ascher hin, bevor die Asche von seiner Kippe fällt, mustert ihn.
Tom. Du heisst Tom.
JOST
Genau. Tom.